Was bedeutet es „im Stress zu sein“?

Was bedeutet es „im Stress zu sein“?

Stress zählt zu den absoluten Buzzwords unserer Zeit. Aber was bedeutet es eigentlich für unseren Körper, wenn wir im Stress sind?

Stress nach Definition

 

Stress kommt nach Definition aus dem Englischen und steht für „Druck“ oder „Anspannung“. Obwohl das Prinzip der Anspannung meistens eher negativ bewertet wird, ist es durchaus notwendig für viele unserer alltäglichen körperlichen Prozesse.

So müssen sich etwa unsere Muskeln an- und entspannen, damit wir uns bewegen und Kraft ausüben können. An- und Entspannung sind Teil des Lebens. Das eine geht nicht ohne das andere und beides sind Zustände, die uns helfen, den Alltag mit Schwung zu bewältigen und im Anschluss Ruhe zu finden.

Evolutionsbiologisch betrachtet, ist die Anspannung als Stress-Response unseres Körpers sogar lebensnotwendig: Begegnete dem Steinzeitmenschen ein wildes Tier, sorgte der Stresszustand des Körpers dafür, automatisch einen Fight-or-Flight-Modus einzuleiten.

Durch die Ausschüttung von Stresshormonen befindet sich der Körper im absoluten Alarmzustand und wird mit der notwendigen Energie versorgt, um instinktiv eine Entscheidung zwischen Flucht oder Kampf zu treffen.

Heute müssen wir uns zwar nicht mehr vor wilden Tieren retten, begegnen dafür jedoch auf regelmäßiger Basis Stressoren in Form von sozialen, beruflichen oder finanziellen Herausforderungen. Im Umgang mit diesen weniger existenziellen, dafür jedoch emotional deutlich komplexeren Problemen sind Flucht und Kampf natürlich keine angemessenen Strategien mehr.

Seien es die scharfe Kritik des Chefs, die eng getakteten Deadlines beim Produktlaunch oder die deplatzierte Wut des Partners beim Abendessen: All diese Situationen lösen heute die gleichen Symptome aus wie früher Säbelzahntiger und Co.

Vor diesem Hintergrund verwundert es natürlich ganz und gar nicht, dass sich Studien zufolge über 50% der Deutschen regelmäßig gestresst und überfordert fühlen. Aber wie entsteht eigentlich die Stressantwort des Körpers? Und wann wird Stress wirklich zum Problem?

 

Stresshormone: Das passiert im Körper

 

Stresshormone haben einen sehr schlechten Ruf. Sie werden mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Problemen sowie auch mit Schlafstörungen, Depressionen und anderen Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Es ist jedoch wichtig, zu beachten, dass die Stress-Antwort unseres Körpers per Se etwas sehr Positives ist. Aufgabe der Stresshormone ist es schließlich nicht, eine Reihe unangenehmer Symptome zu erzeugen. Ganz im Gegenteil: Sie aktivieren unseren Körper, um den externen Stressor mit Kraft und Fokus anzugehen [2].

Eine vollständige Stress-Response besteht dabei meist aus drei unterschiedlichen Phasen: Alarmphase, Widerstandsphase und Entspannungsphase. Erst wenn die wichtige Entspannungsphase ausbleibt, kommt es unter Umständen zu einer Erschöpfungsphase.

Alarmphase

Werden wir mit einem externen Stressor konfrontiert, aktiviert dies in unserem Gehirn den Sympathikus. Auf diese Weise entsteht der Fight-or-Flight-Modus: Wir sind aktiviert und hellwach.

Dies Alarmphase zeichnet sich vor allem durch folgende Körperreaktionen aus:

  • Schnellerer Herzschlag und erhöhter Blutdruck; die Pulsfrequenz steigt
  • Beschleunigung und Intensivierung des Atmens; die Bronchien erweitern sich
  • Die gesamte Muskulatur wird durchblutet und in starke Anspannung versetzt
  • Der Blutzucker steigt an
  • für die Abwehr des Stressors nicht notwendige Körperfunktionen werden verlangsamt: Die Magen-, Darm- und Blasentätigkeit nehmen merklich ab.

 

Widerstandsphase

In der Widerstandsphase geht es darum, die Aktivierung gezielt zu nutzen, um den Stressor zu neutralisieren. Dies erfordert eine Aktivierung des Parasympathikus im Gehirn. Auf körperlicher Ebene zeigen wir nun eine erhöhte Leistungsbereitschaft.

In der zweiten Phase erfolgt auch eine Anpassung an die Stresssituation: Der Körper hat die Alarmphase überwunden. Daher erfolgt an diesem Punkt teilweise schon eine hormonelle Gegenregulation der ersten Phase:

  • Der Speichelfluss steigt
  • Die Magen-, Darm- und Blasentätigkeit wird wieder angeregt,
  • Die Bronchien ziehen sich wieder zusammen: Die Atmung reguliert sich wieder auf ein vergleichsweise normales Maß.

 

Entspannungsphase

Konnte der externe Stressor erfolgreich neutralisiert werden, tritt Entspannung ein, sodass keine neuen Stresshormone in die Blutbahn gelangen:

Es tritt eine fühlbare Ermattung und ein starker Rückgang der Konzentration ein
Bei positivem oder kurzzeitigem negativen Stress wird während der Entspannungsphase oftmals auch das Belohnungssystems des Gehirns aktiviert

 

Erschöpfungsphase

Kann die Entspannungsphase nicht eingeleitet werden, kommt es bei langfristigem Fortbestehen des Stresszustandes womöglich zur Erschöpfungsphase. Dies kann auch geschehen, wenn der Stressor uns durch Sorgen oder negative Gedanken weiter begleitet. Körperlich äußert sich dies wie folgt:

Starke Erschöpfung: Die mentale und körperliche Leistungsfähigkeit ist beeinträchtigt
Der Stress bleibt erhöht; die Folge können in schweren Fällen Stoffwechselstörungen, ein geschwächtes Immunsystem und häufig auch Schlafprobleme oder Reizbarkeit sein.

 

Adrenalin, Dopamin, Noradrenalin und Cortisol: Welches Stresshormon tut was?

 

Während der drei Phasen werden vor allem vier hormonelle Neurotransmitter ausgeschüttet: Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol. Jedes Stresshormon wird in der Nebenniere gebildet.

In der Alarmphase wird immer zuerst Adrenalin ausgeschüttet. Die körperlichen Anzeichen der Alarmphase werden also durch einen „Adrenalin-Kick“ ausgelöst: Das Herz schlägt schneller und die Durchblutung von Gehirn und Muskulatur wird entschieden angekurbelt.

Noradrenalin hat dabei einen ganz ähnlichen Effekt: Gelangt es in die Blutlaufbahn, steigt unser Blutdruck und mit ihm auch die Blutzuckerwerte. Noradrenalin und Adrenalin sorgen gemeinsam mit Cortisol dafür, dass unser Körper jetzt primär Zucker als Energiequelle nutzt, da dieser am schnellsten verstoffwechselt werden kann.

Im Gegensatz zu Adrenalin führt die Freisetzung von Noradrenalin jedoch häufig auch zu einer kurzzeitigen Verengung der Blutgefäße, was dazu führt, dass die Stress-Signale schneller im Gehirn ankommen, welches dann die Produktion von neuem Adrenalin einleitet.

Dopamin hingegen ist vor allem als Motivations- und Glückshormon bekannt. Tatsächlich bildet es jedoch auch eine wichtige biochemische Variable innerhalb der Stress-Antwort: Durch eine spezifische Enzymreaktion in der Nebenniere startet Dopamin unter anderem auch die Noradrenalin-Produktion.

Dieser Zusammenhang zeigt uns einmal mehr, dass Motivation, positive Herausforderung und die körperliche Stress-Response stärker miteinander verknüpft sind, als wir häufig annehmen. Es gibt nicht nur negativen Stress, sondern auch positiven Stress!

Im Gegensatz zu Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin kann das Stresshormon Cortisol nicht nur kurzzeitig, sondern über einen langen Zeitraum ausgeschüttet werden. Da es sowohl für den Schlaf- und Wachzustand als auch für die Regulation des Immunsystems notwendig ist, wird es vorproduziert und gelangt somit gemeinsam mit Adrenalin direkt zu Beginn der Alarmphase ins Blut[3].

Wird die Ausschüttung von Cortisol nicht unterbrochen – etwa durch die Entspannungsphase -, tritt irgendwann unweigerlich Erschöpfung ein. Die Schwächung des Immunsystems, die Beeinträchtigung des Schlafs und der mentale Leistungsabfall treten allerdings erst als Folge einer langfristig gesteigerten Cortisolausschüttung auf [4].

 

Fazit

 

Entgegen der weit verbreiteten Annahme ist unsere körperliche Stress-Response im Grunde sehr positiv. Die Ausschüttung spezifisch aufeinander abgestimmter Stresshormone aktiviert unser vegetatives Nervensystem, macht uns wach und hilft uns, fokussierter und klarer zu werden.

Dabei untergliedert sich die natürliche Stress-Antwort in drei verschiedene Phasen: Die Alarmphase, die Widerstandsphase und die Entspannungsphase. Tritt keine Entspannung ein, folgt langfristig irgendwann eine Erschöpfungsphase, die im schlimmsten Fall durch eine dauerhaft übersteigerte Cortisolproduktion gekennzeichnet sein kann.

Neben Cortisol sind auch die Neurotransmitter Adrenalin, Dopamin und Noradrenalin maßgeblich an der Stress-Antwort unseres Körpers beteiligt. Insbesondere der Zusammenhang zwischen dem Motivationshormon Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin zeigt, dass Stress nicht per Se als negativ eingestuft werden sollte.

 

Quellen

 

[1] Entspann dich, Deutschland: TK-Stressstudie 2016, Online-Access: https://www.tk.de/resource/blob/2026630/9154e4c71766c410dc859916aa798217/tk-stressstudie-2016-data.pdf. 

[2] Dhabhar, F. S. (2018), The Short-Term Stress Response – Mother Nature’s Mechanism for Enhancing Protection and Performance Under Conditions of Threat, Challenge, and Opportunity, Frontiers in Neuroendocrinology, Volume 49, p. 175 – 192, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5964013/. 

[3] Thau, L.; Gandhi, J.; Sharma, S. (2020), Physiology: Cortisol, StatPeals, Online-Access: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK538239/

[4] Russell, G.; Lightman, S. (2019), The Human Stress Response, Nature Reviews: Endocrinology, Volume 15, Issue 9, p. 525-534, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31249398/